Modul 1
Warum Nische? Warum jetzt?
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Relevanz von Positionierung im überfüllten Markt
Kennst du das Gefühl, wenn du auf einem Markt stehst, dutzende Stände siehst, die alle irgendwie dasselbe verkaufen und du einfach nicht weißt, wo du zuerst hinschauen sollst? Genau dieses Gefühl haben auch deine potenziellen Kunden, wenn sie sich online oder offline durch Angebote wühlen. Es gibt einfach zu viel von allem. Wer da nicht sofort auffällt, wird übersehen. Und das passiert schneller, als man denkt.
Stell dir mal einen Yogalehrer vor, der sagt: “Ich biete Hatha-Yoga für alle Altersgruppen.” Nett. Aber warum sollte jemand genau zu ihm gehen? Jetzt stell dir vor, derselbe Mann würde sagen: “Ich helfe Männern ab 50, ihre Beweglichkeit zurückzugewinnen, ohne sich zu verbiegen.” Das klingt plötzlich konkret, greifbar und vor allem: relevant für eine bestimmte Zielgruppe. Oder eine Steuerberaterin, die einfach nur “Steuern für Unternehmen” anbietet. Langweilig. Aber wenn sie sagt: “Ich helfe Solo-Selbstständigen in der Kreativbranche, ihre Buchhaltung zu automatisieren und dabei Geld zu sparen”, dann wissen Designer, Fotografen und Co. sofort: Das ist einer, der mich versteht.
In einem überfüllten Markt reicht es nicht mehr, “gut” zu sein. Oder “verlässlich”. Das sind alle. Das ist ein “Hygienefaktor”, der erst auffällt, wenn er nicht mehr da ist. Entscheidend ist, dass du einen Platz im Kopf deiner Wunschkunden bekommst. Und das klappt nur, wenn du ihnen den Grund gibst, sich für dich zu entscheiden. Schnell, klar und eindeutig. Denn deine Kunden vergleichen. Sie googeln. Sie hören sich um. Und wenn sie dich nicht sofort einordnen können, nehmen sie den Nächsten.
Viele denken bei Positionierung an Logos, Slogans oder irgendwelche “Markenauftritte”. All das ist sicher wichtig und betrachten wir ebenfalls im Zuge dieses Rezeptes. Aber zuerst und im Kern geht es um etwas viel Einfacheres: einen glasklaren Satz, der hängen bleibt. “Der Schreiner, der Möbel aus alten Turnhallenböden baut.” oder “Die Steuerberaterin, der Erklärvideos auf YouTube macht.” oder “Der Coach für Männer in Führungspositionen, die nicht zu Selbstdarstellern werden wollen.” Kein großes Tamtam, sondern Klarheit, die Vertrauen schafft.
Und hier kommt die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Du brauchst nicht alle. Du brauchst die Richtigen. Eine starke Nische bedeutet nicht, weniger Chancen zu haben. Im Gegenteil. Du machst es den richtigen Menschen leichter, sich für dich zu entscheiden, weil sie spüren: Das passt. Das ist für mich gemacht.
Deshalb ist jetzt der perfekte Zeitpunkt, über deine Positionierung nachzudenken. Weil der Markt nicht leerer wird. Weil Menschen sich nach Klarheit sehnen. Und weil du selbst einfacher verkaufen wirst, wenn du weißt, wofür du wirklich stehst.
Die häufigsten Fehler: Bauchgefühl statt Kundenbedürfnis
Viele Unternehmer starten mit einer Idee, die sich für sie selbst richtig anfühlt. “Ich liebe gesunde Ernährung – also mache ich was mit Smoothies.” Oder: “Ich war schon immer technikbegeistert – also entwickle ich eine App.” Das Problem: Was für dich logisch oder spannend klingt, interessiert deine Kunden vielleicht kein bisschen. Und dann wirds schwierig.
Der häufigste Fehler bei der Nischenfindung ist nur vom eigenen Bauchgefühl auszugehen. Also zu starten mit “Was will ich machen?” statt zu fragen: “Womit helfe ich jemandem ganz konkret?” Natürlich ist Leidenschaft wichtig. Aber sie ersetzt kein Kundenbedürfnis. Wenn du ein Produkt oder eine Dienstleistung anbietest, die niemand vermisst, dann bleibt der Erfolg aus, egal wie sehr du dafür brennst.
Und das gilt nicht nur für neue Ideen. Auch bestehende Geschäftsmodelle laufen oft nach dem Prinzip “Das haben wir schon immer so gemacht”. Nur: Märkte verändern sich. Kunden auch. Was vor fünf Jahren funktioniert hat, ist heute vielleicht zu allgemein, zu austauschbar oder schlicht nicht mehr aktuell.
Ein Beispiel aus dem echten Leben
Ein Metzger in dritter Generation, mitten in der Stadt, kämpft mit sinkenden Umsätzen. Sein Laden sieht aus wie früher und das soll auch so bleiben. Handwerk, Qualität, Tradition. Nur: Die Laufkundschaft wird weniger, Stammkunden sterben weg. Dann fängt er an umzudenken. Statt alles für alle anzubieten, fokussiert er sich auf eine neue Zielgruppe: junge Männer, die grillen lieben, aber keine Ahnung vom Fleisch haben. Also entwickelt er Grillpakete inklusive Anleitung, macht YouTube-Videos zu den Cuts und bietet Grillabende an. Ergebnis: neue Kundschaft, steigende Umsätze. Weil er ein konkretes Problem löst: “Ich will grillen wie ein Profi, weiß aber nicht wie.”
Oder die Floristin
Eine Floristin, deren Geschäft eher vor sich hindümpelt. Klassische Sträuße, ein bisschen Deko – alles wie eh und je. Dann fällt ihr auf: In ihrer Stadt gibt es unzählige Co-Working-Spaces, Praxen, Agenturen. Doch kaum jemand hat Zeit, regelmäßig frische Blumen zu besorgen. Also bietet sie ein Blumen-Abo für Büros an: jede Woche ein frischer Strauß, geliefert, auf Wunsch mit passender Vase. Und erschließt so eine neue Nachfrage, klarer Nutzen, weniger Konkurrenz.
Der Punkt ist: Es geht nicht darum, alles neu zu erfinden. Sondern darum, aus dem eigenen Angebot ein echtes Versprechen zu machen. Eines, das ein konkretes Bedürfnis trifft, nicht nur das eigene Interesse.
Ein zweiter häufiger Irrtum: zu früh festlegen. Viele glauben, sie müssten ihre Positionierung einmal glasklar definieren und dann nie wieder anfassen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine gute Nische entwickelt sich. Du darfst ausprobieren, beobachten, anpassen. Wichtig ist nur: nicht im eigenen Kopf feststecken, sondern rausgehen, zuhören, testen.
Denn am Ende entscheidet nicht dein Bauchgefühl, ob deine Nische funktioniert, sondern der Kunde. Und das ist eigentlich eine gute Nachricht. Du musst dir nichts aus den Fingern saugen. Du musst nur genau hinschauen, was die Leute wirklich brauchen.
Was ist eine Nische – und was nicht?
Wenn wir mit Unternehmern zusammenarbeiten und fragen: “Was ist eigentlich eure Nische?”, bekommen wir oft Sätze wie: “Wir bieten individuelle Lösungen.” Oder: “Bei uns steht Qualität an erster Stelle.” Klingt erst mal gut. Das Problem dabei: Das sagt doch fast jeder. Und es bringt uns der eigentlichen Frage nicht näher: Für wen ist dieses Angebot gemacht? Und warum genau für diese Menschen?
Viele denken, eine Nische sei ein hübsches Etikett oder ein netter Marketing-Gedanke. In Wirklichkeit ist sie das Gegenteil: absolut praktisch, messerscharf und hilfreich. Eine Nische bedeutet, dass du ganz genau weißt, wem du hilfst, wobei du hilfst und warum gerade du das besonders gut kannst.
Der Fotograf
Ein Fotograf, der am Anfang alles gemacht hat: Bewerbungsbilder, Hochzeiten, Babybauch, Architektur. Irgendwann hat er gemerkt: Am meisten Freude (und Anfragen) bringt ihm das Fotografieren von Hunden. Nicht als Gag, sondern für Menschen, die ihren Hund als echtes Familienmitglied sehen. Heute hat er ausgebuchte Shooting-Termine, bietet Leinwanddrucke an und wird weiterempfohlen, weil jeder weiß: Das ist der mit den Hundeporträts.
Die Tischlerin
Eine Tischlerin, die sich lange über kleine Aufträge ärgerte: Regale hier, ein Couchtisch da. Bis sie angefangen hat, sich auf Möbel für Tiny Houses zu spezialisieren. Mit durchdachten Lösungen, die man umbauen, stapeln oder ausziehen kann. Heute wird sie von genau den Leuten gefunden, die so was wirklich brauchen. Weil ihre Seite, ihre Texte und ihre Beispiele genau das zeigen.
Das Kosmetikstudio
Ein Kosmetikstudio, das früher alles angeboten hat: von Fußpflege bis Wimpernverlängerung. Heute spezialisiert auf Männer mit Problemhaut: keine Duftkerzen, keine Smalltalkpflicht, dafür klare Hautpflege mit sichtbarem Ergebnis. Auf einmal kommen Leute gezielt von weit her, weil sie sich genau dort ernst genommen fühlen.
Was diese Beispiele gemeinsam haben? Sie richten sich nicht “an alle”. Sondern an eine ganz bestimmte Gruppe mit einem konkreten Bedürfnis. Und das ist der Kern einer Nische: Zielgruppe, Problem, Lösung. Klar, greifbar, wiedererkennbar.
Viele zögern an diesem Punkt. “Aber ich kann doch noch viel mehr!” Ja, kannst du. Und wenn jemand fragt, mach es auch. Aber im Marketing, also da, wo sich Menschen entscheiden, ob sie dich anrufen oder weiterscrollen, brauchst du Fokus. Wer alle ansprechen will, bleibt unsichtbar. Wie ein Restaurant mit 80 Gerichten – Pizza, Sushi, Schnitzel, Salat – von allem etwas, aber nichts davon wirklich gut.
Do’s
Don’ts
“Ich helfe Männern ab 50, ihre Beweglichkeit zurückzugewinnen.”
“Ich biete Yoga-Kurse für alle Altersgruppen.”
“Ich helfe Kreativen, ihre Buchhaltung zu automatisieren.”
“Ich liebe Smoothies – also mache ich was mit Smoothies.“
“Ich mache Möbel für Tiny Houses.”
“Ich mache Bewerbungsfotos, Hochzeiten, Architektur, Babys …”
“Wir haben mit Kunden gesprochen – kaum jemand hatte Interesse an Duftkerzen.”
“Wir glauben, das könnte funktionieren.”
Eine gute Nische dagegen ist wie eine klare Einladung: “Hier bist du richtig! Das hier ist genau für dich gemacht.” Und das funktioniert. Nicht weil du laut schreist, sondern weil du punktgenau triffst.
Kundenverstehen als strategisches Werkzeug
In den letzten Abschnitten hast du gesehen: Eine starke Nische entsteht nicht im stillen Kämmerlein. Und sie basiert auch nicht auf dem Bauchgefühl, was man “mal machen könnte”. Sondern auf echtem Bedarf. Und genau hier setzen wir an, wenn wir mit Unternehmen an ihrer Positionierung arbeiten: mit einer Methode, die man (etwas sperrig) “Human-Centred Design” nennt (auf Deutsch nicht weniger sperrig “menschenzentrierte Gestaltung”). Der Gedanke dahinter ist simpel: Entwickle dein Angebot so, dass es wirklich hilft: aus Sicht des Kunden, nicht aus deiner.
Das heißt in der Praxis: Du beobachtest, du fragst, du hörst zu. Und du denkst erst danach über Lösungen nach. Viele Unternehmer überspringen genau diesen Teil. Sie starten mit der Lösung und wundern sich später, warum keiner zugreift.
Ein Beispiel aus einem Beratungskontext: Ein Familienbetrieb stellt hochwertige Reinigungsgeräte für Handwerksbetriebe her. Das Geschäft läuft okay, aber ohne echtes Wachstum. In einem gemeinsamen Workshop sprechen wir mit zehn potenziellen Kunden. Nicht über das Produkt, sondern über ihren Alltag. Einer sagt: “Mich nervt, dass ich immer nachfragen muss, wer den Sauger zuletzt hatte. Und dann ist der leer oder kaputt.” Aha. Es geht gar nicht um die Reinigungsleistung, sondern um das Chaos bei der Nutzung. Aus dieser Beobachtung entsteht eine neue Idee: Geräte mit NFC-Chip, die Nutzer automatisch erkennen und den Status melden. Kein neues Produkt. Aber ein neues, relevantes Problem wird gelöst. Die Nische: Geräte für Betriebe mit hoher Mitarbeiterfluktuation, die verlässlich und wartungsarm sein müssen.
Oder: Ein Team betreibt seit Jahren eine kleine Textagentur. Sie schreiben für jeden, der zahlt. Heute Webseiten, morgen Flyer, dann Pressemitteilungen. Im Gespräch mit langjährigen Kunden merken sie, dass viele überfordert sind, ihre Fachthemen verständlich zu erklären. Also beobachten sie gezielt: Was fehlt diesen Menschen? Was stresst sie? Ergebnis: Sie entwickeln ein neues Angebot nur für technische Betriebe. Ihre Kunden heute: von der Glühlampenfabrik bis zum Maschinenbauer, die ihre Produkte laienverständlich erklären wollen. Keine riesige Agentur mehr für alle, sondern ein fokussierter Service mit klarem Nutzen. Heute sind sie als “Übersetzer für Technikmenschen” gebucht, weit überregional.
Der Punkt ist: Diese Positionierungen entstanden nicht am Schreibtisch, sondern durch echtes Zuhören. Nicht durch Spekulation, sondern durch konkrete Einblicke.
“Menschenzentriertes Design” heißt im Grunde: Vor dem Angebot kommt das Verstehen des Menschen. Wer nur überlegt, „was er machen könnte“, bewegt sich im Kreis. Wer dagegen analysiert, beobachtet, nachfragt, entdeckt oft Probleme, die Kunden selbst gar nicht benennen können, aber sofort erkennen, wenn du sie ansprichst.
Und genau darum ist dieser Denkansatz so kraftvoll für deine Nischensuche. Weil du dich nicht fragen musst: “Was könnte ich tun?” Sondern: “Was fehlt hier eigentlich noch? Und wie kann ich das besser machen als andere?”